12. NOVEMBER 2021 – 27. JANUAR 2023
Shirazeh Houshiary, Alar, 2016-2017
© Shirazeh Houshiary / VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Courtesy Lisson Gallery
WIDE OPEN. INS OFFENE
Zeitgenössische Fotografie
& Skulptur aus Glas
WIDE OPEN. INS OFFENE: Was war mit dem Titel der Ausstellung gemeint? Das „Offene“ wurde verstanden als ein Feld der Energien, als Raum ohne Limitierungen und Zwänge. In dieses Offene luden uns die Werke der Künstler*innen ein, die mit ihren Bildern und Geschichten, Erfindungen und Experimenten, ihren Vorstellungen und Visionen die Begrenzungen des Denkens und Fühlens sprengen. Sie öffneten weit den Blick, ließen uns hinaustreten und über den Zaun schauen, um sich dem eigenen Selbst zu öffnen sowie dem Anderen – und um das Unmögliche zu denken. Die Werke arbeiteten sich ab am emotionalen, politischen, sozialen und ökologischen Zustand der Welt und eröffneten so ein weites Feld, um über die Bedingungen eines menschlicheren Lebens nachzudenken.
Der Fülle der Arbeiten und der unterschiedlichen künstlerischen Praktiken war eines gemeinsam: ihre Auseinandersetzung mit fundamentalen Themen unserer Zeit.
Monica Bonvicini, In My Hand, 2019
Vier „Linsen“ beleuchteten
spezifische Themenfelder
Spezifische Felder wurden durch vier „Linsen“ schärfer beleuchtet, die selbst wieder eine Tür ins Offene aufstoßen: I Das Elementare. II Sphären des Humanen. III Emotion und Sexualität. IV Spirituelle Dimensionen.
I Das Elementare
Hier wurden die existentiellen Lebensgrundlagen verhandelt. Im Offenen konnte eine neue Ethik im Umgang mit der Natur entstehen, mit den Tieren, den Wäldern, den Ozeanen. Hier war Raum, mit der Natur zu sprechen, ihre Zeichen zu verstehen, um sie zu schützen und zu bewahren. Dazu gehörten die Bilder der unversehrten Natur von Jiang Pengyi (*1977, China), der Beschwörung des Regens von Robin Rhode (*1976, Südafrika), der dystopischen Orte von Julian Charrière(*1987, Schweiz) oder des Kommentars zum Klimawandel aus Glas von Laure Prouvost (*1978, Frankreich).
II Sphären des Humanen
Im Offenen konstituierten sich Modelle von Menschlichkeit, Räume, in denen Gelassenheit, Gemeinschaft, Gastfreundschaft und wechselseitige Empathie wohnten. Im Offenen siedelten die Visionen gesellschaftlichen Zusammenlebens – gegen die „Logik des Einzäunens”. Der große Tisch aus Glas von Carlos Garaicoa (*1967, Kuba) lud in aller Fragilität ein zum Reden, zu friedlichem Austausch. Die Unwirtlichkeit und Tristesse des urbanen Raumes, in dem soziale Beziehungen und die Natur verkümmern, kamen in den Photographien von Jitka Hanzlová (*1958, Tschechien) zum Ausdruck, die Missachtung der Freiheit der Rede und des Denkens in den übermalten tibetanischen Gesichtern von Gao Bo (*1964, China), die „unnachahmliche Menschlichkeit“ der Vater-Sohn-Beziehung in den Video stills von Cao Fei (*1978, China).
III Emotion und Sexualität
Im Offenen wurden Lebensmodelle, Geschlechterrollen und Beziehungsformen zur Disposition gestellt. Das traditionelle Verhältnis der Geschlechter wurde nicht mehr akzeptiert, und in spielerischen Inszenierungen verkehrten sich die Gender-Rollen von Mann und Frau. Frida Orupabo (*1986, Norwegen) brachte rassistisches Denken und post-koloniale Wahrnehmungsweisen ans Licht und dekonstruierte sie. Widerstand und Alternativen zu konventionellen Normen von Lebensstil und Schönheitsidealen, Rebellion und Subkultur manifestierten sich in den Portraits von Luo Yang (*1984, China) und Liao Pixy (*1979, China). Die Skulpturen von Monica Bonvicini (*1965, Italien) provozierten das Überdenken von Genderrollen und subtilen Mechanismen der Macht, wie sie sich in Lust und Gewalt, in Begehren und Unterwerfung ausdrückten.
IV Spirituelle Dimensionen.
Das Offene lud ein, die Grenzen des Verstehens zu überschreiten. Dahinter lagen die Orte, an denen Erfahrung sich der rationalen Durchdringung widersetzte. So schien sich der Körper aus Glas und glänzend poliertem Stahl von Shirazeh Houshiary (*1955, Iran) in seiner dynamischen Struktur zu bewegen und sich „beflügelt“ vom Boden zu erheben. Wie eine Metapher des fließenden Lichts erschien die goldfarbene Wandarbeit aus Glas der amerikanischen Künstlerin Ursula von Rydingsvard, (*1942, Deutschland). Der Kreislauf von Sterben, Tod und neuem Leben wurde ins Bewusstsein gebracht in den Arbeiten von Kiki Smith (*1954, Deutschland) und Jiang Zhi (*1971, China), aber mit der Skulptur von Alicja Kwade (*1979, Polen) auch die Ordnung der Dinge, die Kausalitäten des unendlichen Raumes des Universums.
So war WIDE OPEN. INS OFFENE eine Einladung in die Unbegrenztheit der Assoziationen und Ideen der präsentierten Arbeiten. Die Besucher*innen erwarteten Expeditionen in weite, unberührte Landschaften und in die Wüsten der Zivilisation, in das Universum und in jenseitige Welten. Sie betraten Orte der Freiheit des Geistes und der Vielfalt kultureller Lebensformen, der Gemeinschaft und Gastfreundschaft, der Anerkennung der Bedeutung von Sprache und Zugehörigkeit, der friedlichen Koexistenz von Natur und Mensch. Diese existentiellen Themen der Arbeiten der Ausstellung entfalteten im Kontext zeitgenössischer Realitäten eine besondere Kraft.
Kuratiert von Dr. Petra Giloy-Hirtz und Dr. Eva Maria Fahrner-Tutsek
Mit Arbeiten von:
Monica Bonvicini
Cao Fei
Julian Charrière
Chen Wenjun & Jiang Yanmei
Jimmie Durham
Fan Ye
Gao Bo
Carlos Garaicoa
Jitka Hanzlová
Shirazeh Houshiary
Cheng Alex Huanfa
Jiang Pengyi
Jiang Zhi
Alicja Kwade
Liao Pixy
Liu Ke & Huang Huang
Liu Tao
Luo Yang
Mu Ge
Frida Orupabo
Laure Prouvost
Robin Rhode
Ursula von Rydingsvard
Anri Sala
Shen Wei
Kiki Smith
Wang Bing
Weng Fen
Yin Xiuzhen