12. NOVEMBER 2021 – 27. JANUAR 2023

Shirazeh Houshiary, Alar, 2016-2017

© Shirazeh Houshiary / VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Courtesy Lisson Gallery

WIDE OPEN. INS OFFENE
Zeitgenössische Fotografie
& Skulptur aus Glas

Die Alexander Tutsek-Stiftung eröffnete einen zweiten Kunstraum – und feierte damit zugleich ihr zwanzigjähriges Jubiläum. In der neuen BlackBox in der Parkstadt Schwabing und an ihrem Stammsitz, der Villa im Herzen Schwabings, lud sie zu ihrer neuen Ausstellung ein. WIDE OPEN. INS OFFENE zeigte an beiden Orten gleichzeitig rund hundert Arbeiten von über dreißig Künstler*innen unterschiedlicher geografischer und kultureller Herkunft aus Südafrika, Iran, China, Kuba, den USA und vielen europäischen Ländern. Darunter waren nicht nur international renommierte, sondern auch überraschende junge Positionen. Dem Sammlungskonzept der Stiftung entsprechend, handelte es sich um zeitgenössische Fotografien und Skulpturen aus dem Werkstoff Glas, die mit wenigen Ausnahmen alle für diese Schau erworben wurden.

WIDE OPEN. INS OFFENE: Was war mit dem Titel der Ausstellung gemeint? Das „Offene“ wurde verstanden als ein Feld der Energien, als Raum ohne Limitierungen und Zwänge. In dieses Offene luden uns die Werke der Künstler*innen ein, die mit ihren Bildern und Geschichten, Erfindungen und Experimenten, ihren Vorstellungen und Visionen die Begrenzungen des Denkens und Fühlens sprengen. Sie öffneten weit den Blick, ließen uns hinaustreten und über den Zaun schauen, um sich dem eigenen Selbst zu öffnen sowie dem Anderen – und um das Unmögliche zu denken. Die Werke arbeiteten sich ab am emotionalen, politischen, sozialen und ökologischen Zustand der Welt und eröffneten so ein weites Feld, um über die Bedingungen eines menschlicheren Lebens nachzudenken.

Der Fülle der Arbeiten und der unterschiedlichen künstlerischen Praktiken war eines gemeinsam: ihre Auseinandersetzung mit fundamentalen Themen unserer Zeit.

Ausstellungsorte

BlackBox
Georg-Muche-Str. 4
80807 München

Anfahrt

Öffnungszeiten
Mittwoch bis Freitag 12–17 Uhr, Feiertags geschlossen

Villa
Karl-Theodor-Str. 27
80803 München

Anfahrt

Öffnungszeiten
Dienstag bis Freitag 14–18 Uhr, Feiertags geschlossen

Monica Bonvicini, In My Hand, 2019

© VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Courtesy Monica Bonvicini & Galerie Peter Kilchmann, Zürich, Foto: Sebastian Schaub

Vier „Linsen“ beleuchteten
spezifische Themenfelder

Spezifische Felder wurden durch vier „Linsen“ schärfer beleuchtet, die selbst wieder eine Tür ins Offene aufstoßen: I Das Elementare. II Sphären des Humanen. III Emotion und Sexualität. IV Spirituelle Dimensionen.

I Das Elementare

Hier wurden die existentiellen Lebensgrundlagen verhandelt. Im Offenen konnte eine neue Ethik im Umgang mit der Natur entstehen, mit den Tieren, den Wäldern, den Ozeanen. Hier war Raum, mit der Natur zu sprechen, ihre Zeichen zu verstehen, um sie zu schützen und zu bewahren. Dazu gehörten die Bilder der unversehrten Natur von Jiang Pengyi (*1977, China), der Beschwörung des Regens von Robin Rhode (*1976, Südafrika), der dystopischen Orte von Julian Charrière(*1987, Schweiz) oder des Kommentars zum Klimawandel aus Glas von Laure Prouvost (*1978, Frankreich).

II Sphären des Humanen

Im Offenen konstituierten sich Modelle von Menschlichkeit, Räume, in denen Gelassenheit, Gemeinschaft, Gastfreundschaft und wechselseitige Empathie wohnten. Im Offenen siedelten die Visionen gesellschaftlichen Zusammenlebens – gegen die „Logik des Einzäunens”. Der große Tisch aus Glas von Carlos Garaicoa (*1967, Kuba) lud in aller Fragilität ein zum Reden, zu friedlichem Austausch. Die Unwirtlichkeit und Tristesse des urbanen Raumes, in dem soziale Beziehungen und die Natur verkümmern, kamen in den Photographien von Jitka Hanzlová (*1958, Tschechien) zum Ausdruck, die Missachtung der Freiheit der Rede und des Denkens in den übermalten tibetanischen Gesichtern von Gao Bo (*1964, China), die „unnachahmliche Menschlichkeit“ der Vater-Sohn-Beziehung in den Video stills von Cao Fei (*1978, China).

 III Emotion und Sexualität

Im Offenen wurden Lebensmodelle, Geschlechterrollen und Beziehungsformen zur Disposition gestellt. Das traditionelle Verhältnis der Geschlechter wurde nicht mehr akzeptiert, und in spielerischen Inszenierungen verkehrten sich die Gender-Rollen von Mann und Frau. Frida Orupabo (*1986, Norwegen) brachte rassistisches Denken und post-koloniale Wahrnehmungsweisen ans Licht und dekonstruierte sie. Widerstand und Alternativen zu konventionellen Normen von Lebensstil und Schönheitsidealen, Rebellion und Subkultur manifestierten sich in den Portraits von Luo Yang (*1984, China) und Liao Pixy (*1979, China). Die Skulpturen von Monica Bonvicini (*1965, Italien) provozierten das Überdenken von Genderrollen und subtilen Mechanismen der Macht, wie sie sich in Lust und Gewalt, in Begehren und Unterwerfung ausdrückten.

IV Spirituelle Dimensionen.

Das Offene lud ein, die Grenzen des Verstehens zu überschreiten. Dahinter lagen die Orte, an denen Erfahrung sich der rationalen Durchdringung widersetzte. So schien sich der Körper aus Glas und glänzend poliertem Stahl von Shirazeh Houshiary (*1955, Iran) in seiner dynamischen Struktur zu bewegen und sich „beflügelt“ vom Boden zu erheben. Wie eine Metapher des fließenden Lichts erschien die goldfarbene Wandarbeit aus Glas der amerikanischen Künstlerin Ursula von Rydingsvard, (*1942, Deutschland). Der Kreislauf von Sterben, Tod und neuem Leben wurde ins Bewusstsein gebracht in den Arbeiten von Kiki Smith (*1954, Deutschland) und Jiang Zhi (*1971, China), aber mit der Skulptur von Alicja Kwade (*1979, Polen) auch die Ordnung der Dinge, die Kausalitäten des unendlichen Raumes des Universums.

So war WIDE OPEN. INS OFFENE eine Einladung in die Unbegrenztheit der Assoziationen und Ideen der präsentierten Arbeiten. Die Besucher*innen erwarteten Expeditionen in weite, unberührte Landschaften und in die Wüsten der Zivilisation, in das Universum und in jenseitige Welten. Sie betraten Orte der Freiheit des Geistes und der Vielfalt kultureller Lebensformen, der Gemeinschaft und Gastfreundschaft, der Anerkennung der Bedeutung von Sprache und Zugehörigkeit, der friedlichen Koexistenz von Natur und Mensch. Diese existentiellen Themen der Arbeiten der Ausstellung entfalteten im Kontext zeitgenössischer Realitäten eine besondere Kraft.

Kuratiert von Dr. Petra Giloy-Hirtz und Dr. Eva Maria Fahrner-Tutsek

Mit Arbeiten von:

Monica Bonvicini

Cao Fei

Julian Charrière

Chen Wenjun & Jiang Yanmei

Jimmie Durham

Fan Ye

Gao Bo

Carlos Garaicoa

Jitka Hanzlová

Shirazeh Houshiary

Cheng Alex Huanfa

Jiang Pengyi

Jiang Zhi

Alicja Kwade

Liao Pixy

Liu Ke & Huang Huang

Liu Tao

Luo Yang

Mu Ge

Frida Orupabo

Laure Prouvost

Robin Rhode

Ursula von Rydingsvard

Anri Sala

Shen Wei

Kiki Smith

Wang Bing

Weng Fen

Yin Xiuzhen

© VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Courtesy Monica Bonvicini & Galerie Peter Kilchmann, Zürich Foto: Sebastian Schaub
© Shen Wei
Courtesy Lisson Gallery, Foto: George Darell