28. APRIL 2023 – 26. JANUAR 2024
Wang Yimo, Rhapsody on Earth No. 3, 2021
© Wang Yimo, courtesy Three Shadows +3 Gallery
INDUSTRIAL RHAPSODY
Zeitgenössische Fotografie & Skulptur mit Glas
Anders als die historischen Vorgänger mit ihren Sujets von „Fabrik“, „Mensch und Maschine“ und „Industriearchitekturen“ oder als Bernd und Hilla Bechers auf Sachlichkeit und „Neutralität“ angelegten Typologien von Industriekultur intendieren die Künstler*innen der Ausstellung eine erzählerische Qualität und emotionale Aura. Dabei erscheint der industrielle Raum oft als magischer Ort, als „such a great place to set a story“ (David Lynch). Ihre Bilder erzählen in suggestiver Kraft von der Fabrik als historischem Relikt wie futuristischem Faszinosum. Sie wird zu einem Ort für Performance und Inszenierung. Das Medium der Fotografie zeigt sich dabei in der Vielfalt seiner technischen und künstlerischen Möglichkeiten und entfaltet über herkömmliche Traditionen hinaus ein Spektrum des Experimentellen.
Wang Yimo (*1996 in Chongqing, China) verschmilzt Animation, kollektive Performance und Videoinstallation. Ihre Rhapsody on Earth (2021), die den Titel der Ausstellung inspiriert hat, spielt in einem stillgelegten Kraftwerk, die Protagonisten sind ehemalige Arbeiter*innen. Auch Cao Fei (*1978 in Guangzhou, China) macht die Industrieanlage zur Bühne. In Asia One (2018) inszeniert sie den Arbeitsalltag der beiden einzigen Mitarbeiter der Firma – hier der größten Sortieranlage Chinas für Warenversand – in Interaktion mit Robotern und künstlicher Intelligenz. LaToya Ruby Frazier (*1982 in Braddock, Pennsylvania) zeigt das industrielle Ambiente als Ort von Arbeitsethos und Identifikation. Collective Storytelling ist ihr Vehikel, den Arbeiter*innen des schließenden Autowerkes – General Motors in Lordstown, Ohio – eine Stimme zu geben.
Bei Stéphane Couturier (*1957 in Neuilly-sur-Seine) gerät der industrielle Raum, hier das Toyota-Montagewerk in Valenciennes, zu einem effektvollen abstrakten Bild dynamischer Linien durch die Überlagerung zeitversetzter Aufnahmen. Den Menschen braucht industrielle Automatisierung kaum noch. Bei Matthieu Gafsou (*1981, Schweiz) sitzt er, uniform und gesichtslos, vor dem Computer. Defekte und Verformungen durch technologischen Wandel als Folge eines „Transhumanismus“ geben seinen Arbeiten etwas Mysteriöses. Industrieszenerien von Vera Lutter (*1960 in Kaiserslautern), die Tage oder gar Wochen der Belichtung mit der Camera Obscura brauchen, erscheinen imaginär, illusionistisch und durch die Umkehrung der Töne und die eingefangene Zeit beinahe unheimlich.
Edward Burtynsky (*1955 in St. Catharines, Ontario) erzählt in spektakulären Bildern globaler industrieller Landschaften von den Auswirkungen menschlichen Handelns auf den Planeten. Und auch Naoya Hatakeyama (*1958 in Iwate, Japan) mit seinen „choreographierten“ explosiven Augenblicken zeigt in atemberaubender Weise, welche Energien durch Sprengung freigesetzt werden, um den Bedarf nach den Schätzen des Bodens zu erfüllen. Von den Auswirkungen auf die Menschen, „wenn sich ein Land mit noch nie dagewesener Geschwindigkeit in Richtung Zukunft bewegt“, erzählt Nadav Kander (*1961 in Tel Aviv, Israel), ebenso von nuklearer Aufrüstung, die Ruinen in einer Mischung von „Schönheit und Wahrheit“ hinterlassen hat. Mit den brennenden Ölquellen aus der Serie Kuwait. Mit A Desert on Fire führt Sebastião Salgado (*1944 in Aimorés, Brasilien) die Bedrohung industrieller Anlagen durch Krieg und Gewalt dramatisch vor Augen. Thomas Struth (*1954 in Geldern, Niederrhein) eröffnet eine Innenansicht der Europäischen Organisation für Kernforschung, CERN, der weltweit größten wissenschaftlichen Einrichtung zur Erforschung der Ursprünge des Universums mit Hilfe von Teilchenbeschleunigern. Philosophische Fragen interessieren ihn wie die politische Dimension, ob jene hochkomplexen Konglomerate aus Kabeln und Ventilen die Hoffnung auf eine bessere Zukunft in sich tragen.
Die Skulpturen mit dem Medium Glas erweitern die Ausstellung um eine neue schöpferische, vielleicht gar visionäre Dimension. Mundgeblasen und handgefertigt oder produziert mit modernen Technologien sind sie der poetische Teil der Industrial Rhapsody: Die schwebende Skulptur aus geblasenem Glas und gegossener Bronze von Eric Sidner (*1985 in Houston, USA); der von den Elementen der Natur inspirierte Ring of Fire (2013) von Colin Reid (*1953 in Cheshire, England) oder die skurrile Skulptur Present III (2022) von Namdoo Kim (*1985 in Südkorea), der ironisierend mit den Werten einer Industriegesellschaft spielt. Die Ausstellung zeigt zum ersten Mal in Deutschland die aufregenden maschinenartigen Konfigurationen aus dreidimensionalen geometrischen Formen aus farbigem Glas in ihren gerasterten Strukturen von Kristi Cavataro (*1992 in Connecticut, USA) und die Röhrensysteme aus Borosilikatglas – in der Industrie als Behälterglas verwendet – injiziert mit hormonellen Substanzen von Jes Fan (*1990 in Kanada); darüber hinaus die energetische Verbindung von Solarpanele, elektronische Schaltkreise mit Licht und Pigmente zu einer malerischen, sich durch Lichteinfall verändernden Wandarbeit des britisch-pakistanischen Künstlers Haroon Mirza (*1977 in London); und den fiktiven Schreibtisch mit großformatigem Bildschirm als Tischplatte von Niko Abramidis &NE (*1987 in München), der über Visualisierungen und Luftaufnahmen die globalen Bewegungen von Geldflüssen sichtbar macht.
Die Ausstellung in der BlackBox wurde kuratiert von Dr. Eva-Maria Fahrner-Tutsek und Dr. Petra Giloy-Hirtz.
Ausstellungsort
BlackBox
Georg-Muche-Str. 4
80807 München
Öffnungszeiten
Dienstag bis Freitag 14–18 Uhr, Donnerstag 14–20 Uhr, jeden ersten Samstag im Monat 11–15 Uhr, feiertags geschlossen